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Ein wissenschaftliches Modell ist so gut, wie es uns die Wirklichkeit vorhersagen kann. Leider sind gerade in der Evolutionsbiologie manche Vorstellungen verbreitet, deren Vorhersagen unzuverlässig sind. Als Beispiel möchte ich den populären Autor Matt Ridley zitieren, der 1998 in seinen Buch "Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität." folgende Anekdote erzählt, um eine angenommene Überlegenheit individueller Auslese gegenüber der Gruppenselektion zu erläutern:
"Es gibt die alte Geschichte von einem Philosophen, der wegrennt, als er und sein Freund von einem Bären bedroht werden. 'Das nützt nichts, du wirst niemals schneller sein als der Bär', sagt sein logisch denkender Freund. 'Das muß ich auch gar nicht', antwortet der Philosoph. 'Ich muß nur schneller sein als du.'"
Ist das noch typisch britischer schwarzer Humor oder schon freie Konkurrenz? Wer glaubt, dass in solchen Situationen eine schnellere Flucht zur Rettung auf Kosten Anderer taugt, täuscht sich wahrscheinlich. Bei unverhofften Bären-Begegnungen hilft nur, sich möglichst ruhig als Mensch erkennen zu geben und sich eventuell, aber sehr langsam, zurückzuziehen. Je größer die Gruppe der Menschen, umso weniger wird dann passieren. Einen wegrennenden Menschen wird ein ihn bedrohender Bär dagegen mit hoher Sicherheit töten. Braunbären sehen Menschen als potentielle Gefahr und nicht als Beute an. Eine Flucht würde das Tier in fataler Weise irritieren.
Ich argumentiere damit nicht gegen individuelle Selektion im Speziellen. Sie ist ein wichtiger Evolutionsfaktor. Welches Verhalten allerdings selektiert wird, ist von allen wesentlichen Einflussfaktoren abhängig, aber nicht von allzu menschlichen Vorurteilen.
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